Das Gemeinsame als Imagination und Praxis
Prozesse gemeinwohlorientierter Infrastrukturierung rechtsanthropologisch und geschlechtertheoretisch
Aktuelle Auseinandersetzungen um die Berliner „Mobilitätswende“ (Fallstudie A) und um „gerechtes Gebären“ (Fallstudie B) untersucht TP E als politische Prozesse gemeinwohlorientierter Infrastrukturierung. Das Projekt interessiert sich dafür, wie in diesen Debatten um Infrastrukturen Vorstellungen eines Gemeinsamen hervorgebracht werden: Welche Bedeutung hat es, sich auf „das Gemeinwohl“ zu beziehen und welche Vorstellungen von einer gerechteren Zukunft werden dabei entwickelt und verhandelt? Welches wir wird dabei heraufbeschworen und wie entwickelt diese Vorstellung politische Strahlkraft und greifbare Effekte? Wie wird die Frage danach, wie wir gemeinsam leben wollen von den Akteur:innen jeweils beantwortet? Wie ist es zu verstehen, dass so unterschiedliche Felder wie Infrastrukturen rund um Geburtshilfe und städtische Mobilität jeweils für große politische Zukunftsvisionen der gerechteren Welt für alle herangezogen werden?
Fallstudie A: Verkehrswende umsetzen: Recht, Geschlecht und Imaginationen von Gemeinwohl in Verhandlungen um Mobilitätsinfrastrukturen
Das Berliner Mobilitätsgesetz soll die Grundlage nachhaltige städtische Mobilität für alle legen und ist aus einem Volksentscheid hervorgegangen. Als Grundlage für politische Forderungen und verwalterische Maßnahmen sieht es die Stärkung des Umweltverbundes (ÖPNV, Schiene, Rad- und Fußverkehr) sowie diverse Beteiligungsverfahren vor. Wie werden konfligierende Nutzungsinteressen auf dem Terrain städtischer Mobilität verhandelt? Wie werden Bedürfnisse von Nutzer*innengruppen nach Mobilität und infrastrukturelle Voraussetzungen einzelner Verkehrsmittel in Einklang gebracht? Die Fallstudie untersucht, wie durch Prozesse der Infrastrukturierung städtischer Verkehrsinfrastrukturen Vorstellungen eines gemeinsam genutzten Stadtraums wirksam werden und inwiefern dies Imaginationen eines städtischen (politischen?) Wirs aktiviert werden.
Fallstudie B: „Gerechtes Gebären: Gemeinwohlorientierte Infrastrukturierung der Geburtshilfe“
„Gerechtes Gebären“ beschreibt eine gegenwärtige moralische Richtschnur des Verhältnisses zu geburtshilflichen Infrastrukturen. Dabei werden Schwangere und Gebärende, wie auch Hebammen und das geburtshilfliche Team, politische Akteur:innen und die gesamte Gesellschaft und ihre Strukturen für das Gelingen gerechter Verhältnisse angerufen. Bei der Auseinandersetzung um geburtshilfliche Einrichtungen als Teil staatlicher Verpflichtung zur Daseinsvorsorge steht zudem nicht nur Gesundheit (in einem engen medizinischen Verständnis), sondern auch Selbstbestimmung, Arbeitnehmer:innenrechte und Fragen von Antidiskriminierung und Vielfalt im Zentrum. Ideen und Forderungen zu Veränderungen in der Geburtshilfe werden mit Gemeinwohl-Vorstellung verbunden. Angerufen werden über-individuelle, kollektive (rechts-)Ansprüche, Moralitäten und Bedürfnisse, die nicht nur einzelne Betroffene, Gebärende oder Familien im Blick haben, sondern die Gesellschaft als Ganzes („Wir werden alle geboren“, „Rettet unsere Hebammen“). Mich interessiert, wie mit Recht auf die gegenwärtigen Herausforderungen der Geburtshilfe reagiert werden kann. Wie arbeiten politische Akteur:innen an der Verrechtlichung ihrer Anliegen und wie nutzen Sie dabei insbesondere „das Gemeinwohl“ als politisches Argument? Gibt es ein gerechtes Gebären und wie sieht dieses aus? Wie können rechtliche Widersprüche und Paradoxien im geburtshilflichen Alltag navigiert werden?
Das kappellenartige, kleine Gebäude aus Lehm ist gedeckt mit kleinen Holzschindeln - die für die Region typische Art der Fassadenverkleidung. Zukünftiges Gebären ist im Kontext dieser präfigurativen Vorstellung Teil dörflicher Gemeinschaft und Selbstverwaltung. Die Aktivist:innen gewinnen Unterstützer:innen für ihre Anliegen durch eine Betrachtung des Gebärens als naturhaft in Verbindung mit der im Bregenzer Wald tradierten Antwort auf die Frage, wer für die Bearbeitung der Natur zuständig ist, nämlich die dörflichen Handwerker:innen und Bäuer:innen. Die historische Figur der unabhängigen und starken „Wälderin“ erlaubt es, das Gebären zum Gegenstand lokaler Erzählungen von Identität und (nationaler) Gemeinschaft zu machen. Gemeinwohlinfrastrukturierungen aktualisieren hier Geschlecht und Gemeinsames in der Abkehr von Technisierung und der Besinnung auf lokale Handwerkstradition.
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Team: Beate Binder Alik Mazukatow Michèle Kretschel Alica Bonauer