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Förderphase 1 (2018-2021)

Prozesse der Normierung, Kategorisierung und Solidarisierung

Zu den umstrittensten Fragen westlicher Demokratien gehören derzeit jene um Zugehörigkeit und Teilhabe. Recht kommt dabei eine zentrale Rolle zu, sei es als Bezugspunkt, um ein Anrecht zu formulieren, sei es als Zielpunkt, um bestehende Grenzen zu verschieben. Von dieser Dynamik zeugen neuere soziale Konflikte etwa um Antidiskriminierungsrecht und Arbeitnehmer*innenrechte, darum, wem die Stadt gehört, um die Frage der Rechte von Geflohenen sowie generell um Fragen nach der Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe aller „an der Praxis staatsbürgerlicher Selbstbestimmung“ (Jürgen Habermas).

Die interdisziplinäre Forschungsgruppe (FOR) fokussiert vor diesem Hintergrund den Zu­sammenhang von Recht, Geschlecht und Kollektivität. Wir fragen nach der Wirkmächtigkeit vergeschlechtlichter Kollektivität in einer hegemonial männlich-heteronormativen sowie bürgerlich-privatrechtlich verfassten Rechtstradition. Uns interessiert, wie sich aktuelle gesellschaftliche Konflikte aus Sicht eines vertieften Verständnisses juristisch normierter und zugleich vergeschlechtlichter Kollektivierungsprozesse darstellen, wie sie verstanden und in angemessener Komplexität beschrieben werden können.

Die FOR nimmt dafür unterschiedliche Dimensionen von Kollektivität – (soziale) Kollektive, Vorstellungen von Kollektivität und Prozesse der Kollektivierung – in den Blick. Sie fokussiert die Schnittstelle von Recht als soziokulturell bedeutsamen Diskurs- und Handlungs­zusammenhang und Gender als wirkmächtiger sozialer Norm und Strukturkategorie. Die FOR erzielt damit erstens einen theoretischen Mehrwert sowohl für die Rechtsforschung wie für die Geschlechterforschung und leistet mit dieser spezifischen Fokussierung zweitens einen eigenständigen Beitrag zum Verständnis der Bedeutung von Kollektivität in spät­modernen Gesellschaften im transnationalen Zusammenhang.

In der ersten Förderphase konnten wir unterschiedliche Aggregatzustände und Intensitäten von Kollektivität ausmachen. Hinsichtlich der Prozesse von Normierung, Kategorisierung und Solidarisierung bestätigte sich unsere Ausgangsbeobachtung: Spätmoderne Gesellschaften sind geprägt durch dynamisierend wirkende Konflikte, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt herausfordern, aber auch zur Entstehung und zum Formwandel von Kollektiven beitragen. Wir haben hier zahlreiche Hinweise auf neue bzw. veränderte Formen und Vorstellungen von Gesellschaftlichkeit, Teilhabe und Solidarität gefunden, die von solchen Kollektiven ausgehen.

Untersucht wurden die Emergenz und Wirkungsweise von Rechtskategorien im Asylrecht (TP A), die Nutzung von Recht in der Organisierung von Beschäftigten besonders durch Gewerkschaften (TP B), die Verhandlungen von Kollektivität in Diskursen und Praktiken urbanen Wohnens in Gemeinschaften (TP C), Verhandlungen um und Effekte von Antidiskriminierungsrecht in Organisationen (TP D) und im urbanen behördlichen und zivilgesellschaftlichen Raum (TP E) sowie die historische Formierung der Homosexuellenbewegung in Westdeutschland im Kontext der rechtlichen Regulierung von Sexualität und Geschlecht (TP F). Die Arbeit in den Teilprojekten profitierte jeweils substanziell von der intensiven interdisziplinären Auseinandersetzung. Reibungspunkte zwischen rechtswissenschaftlichen und sozial-, kultur- und geschichtswissenschaftlichen Ansätzen provozierten zu produktiven Erweiterungen oder Revisionen ursprünglicher Fragestellungen und trugen zur Schärfung der analytischen Zugänge bei.


Gesellschaftliche Konflikte Neue Formen des Gemeinsamen
Recht
Geschlecht
Kollektivität

Teilprojekt 0
Genealogien der Wissensformation

Teilprojekt A
Europäisches Asylsystem

Teilprojekt B
Kollektivität in der Erwerbsarbeit

Teilprojekt C
Gemeinschaftliches Wohnen

Teilprojekt D
Organisationale Felder & Antidiskriminierung

Teilprojekt E
Antidiskriminierungsrecht als Praxis

Teilprojekt F
Homosexuellenbewegung und Rechtsordnung (1949-2002)