Ein Anspruch auf eine gemeinsame Welt?
Geschlecht in Umweltrecht und Umweltklagen
Unser Lebensraum ist in Gefahr. Es ist eine Klimakatastrophe abzuwenden. Forderungen danach werden vor Gericht in Umwelt- bzw. Klimaklagen geltend gemacht. Damit stehen alle drei Koordinaten der FOR in Frage: Mit Erkenntnissen der Gender Studies lässt sich der menschliche Schädiger, Anthropos, und seine Umwelt verorten. Mit den Organisationen, die Verbandsklagen betreiben, unter dem Primat von abstraktem Gemeinwohl und technischer Lösbarkeit, stehen Kollektivitäten in Frage; die Schweizer Klimaseniorinnen und Maria Khan et al / Pakistan stellen erstmals auch geschlechtsspezifisch formulierte Ansprüche. Betroffenen ist aber nur unter engen Voraussetzungen Rechtssubjektivität eingeräumt, worüber sich Klimaklagende hinwegsetzen, also das Recht selbst modifizieren. So gerät Umweltrecht auch in Kooperationen mit Umweltorganisationen unter menschenrechtlich fundierten Transformationsdruck, so wie in Forschungsphase I Asylkonflikte an den europäischen Grenzen Verschiebungen bewirkten. Im Vergleich zum Asylrecht gibt es hier größere Transformations- und Beharrungskräfte; uns interessiert, wie die juristische Konfliktverdichtung Perspektiven auf eine gemeinsame, auch geschlechtergerechte Welt eröffnet.
Dem gehen wir diskursanalytisch auf drei Arbeitsebenen nach: Der „Begriffsspeicher“ widmet sich Rechtsgrundlagen und Fachliteratur, um Umweltrecht auf ihre Geschlechterdimension und ihr Zusammenwirken mit verbriefter Kollektivität - Umweltorganisationen und Gemeinwohl - zu befragen. Die Studie „Klimaklagen verhandeln“ führt die Gerichtsforschung der Phase I fort, in der wir das Verhandeln von juridischer Eigenlogik und gesellschaftlichen Verhältnissen als notwendige Flexibilisierungsstrategie gerichtlicher Begründungsautorität identifiziert haben, nun mit Entscheidungsbegründungen aus Europa, Südamerika und Südasien. Drei Fallstudien zu „Klimaschutzrecht mobilisieren“ integrieren schließlich eine Primärdatenerhebung zur strategischen Prozessführung von Schweizer Klimaseniorinnen, Maria Khan et al / Pakistan und Lliuya / RWE. Damit lassen sich Ansprüche explizit auf Geschlecht und Menschenrechte mit zivilrechtlichen Klagen im Brückenschlag zwischen globalem Norden und Süden vergleichen, was Kontrastierung und intersektionale Ausdifferenzierung ermöglicht. Mit dieser Forschung vermitteln wir Erkenntnisse der (Legal) Gender Studies in das Umweltrecht, treiben Rechtsdiskursforschung an der Schnittstelle von Gesellschaft und juristischer Eigenlogik voran und stellen umweltrechtliche Perspektiven jenseits des Primats technischer Lösbarkeit zur Diskussion.
Verbindung der beiden Forschungsphasen:
Verbunden sind die beiden Phasen vorerst über eine komplementäre Untersuchungsperspektive: Sind im Asylrecht zwingend Individuen zentral, die als kollektive Identität normiert werden, agieren im Klimaschutzrecht primär Kollektive mittlerer Größe und die Position des Individuums – die Rechtssubjektivität von Klimaklagenden – ist unklar. Ist im Asylrecht Geschlecht schon länger kontroverses Thema, haben die Gender-Dimensionen der Klimapolitik die juristische Praxis bislang kaum erreicht. Heteronormativität ist im Asylrecht ein Aspekt, im Klimaschutz bisher weitgehend ausgeblendet; Nationalstaatlichkeit ist asylrechtlich affirmatives Zentrum, im Klimaschutzrecht eher Hürde. In dieser Gegenläufigkeit lassen sich Erkenntnisse aus Phase I schärfen. Zur Gerichtsforschung treten in Phase II zudem Diskursanalysen von Regeln und Fachliteratur sowie drei Fallstudien zur Rechtsmobilisierung. Mit der Forschungsgruppe stellen wir die Frage gemeinsame Überfrage nach umkämpftem Allgemeinen und neuem Gemeinsamen: Wie fordern Klimaklagen das Umweltrecht mit neuen Ansprüchen auf eine gemeinsame und auch geschlechtergerechte Welt heraus?